Zur Frage der verschiedenen wohltemperierten Stimmungen
Der Weg zum wohltemperierten Klavier
Früher, als die Musik einfacher komponiert wurde als nach dem späten Mittelalter, waren die Quinten rein gestimmt, die Quarten auch. Dann kann man aber nur in einer Tonart spielen, z. B. in C-Dur. Sobald ein Kreuz oder b vorkommt, hört es sich sehr schief an, weil die schwarzen Tasten nicht zu den weißen passen.
Das ist nicht einfach zu erklären. Man kann sich aber vorstellen, dass eine der zwölf Quinten C → G → D… F → C (s. o.) sehr viel zu klein gestimmt werden muss, um am Ende zur Oktave zu passen:
In Quinten hoch geht esC → G → D → A → E → H → Fis → Cis → Gis → Dis → Ais → F → C
aber 7 Oktaven höher, also:
C1 → G1 → D2 → A2 → E3 → H3 → Fis4 → Cis5 → Gis5 → Dis6 → Ais6 → F7 → C8
In Oktaven geht es einfach C1 -C2 -C3 -C4 -C5 -C6 -C7 -C8
Die reine Quinte ist um den Faktor 1,5 höher:
1 → 1,5 → 2,25 → 3,375 → 5,0625 → 7,59395
→ 11,3906… → 17,0859… → 25,6289…
→ 38,443… → 57,665… → 86,497…
→ 129,74633789
Die Oktaven gehen einfacher, sie sind doppelt so hoch:
1 → 2 → 4 → 8 → 16 → 32 → 64 → 128
Mit reinen Quinten kommt man also nie zu einer Oktave, sondern ist nach 12 Quinten etwas höher (um den Faktor 129,74... / 128 = 1,01364…). Spätestens die letzte Quinte muss also um diesen Faktor kleiner sein. Dann klingt sie allerdings nicht schön, sie wird darum „Wolfsquinte“ genannt.
Die Stimmung, bei der elf der zwölf Quinten rein gestimmt sind, die zwölfte dafür ganz unrein, wird „pythagoräische Stimmung“ genannt, zu Ehren dieses Mathematikers und Philosophen, weil er u. a. untersucht hat, was Oktave, Quinte, Quarte usw. physikalisch bedeuten.
Die pythagoräische Stimmung ist nur für eine Tonart geeignet (z. B. für C-Dur mit den weißen Tasten; alle schwarzen Tasten führen zu Missklängen).
Als nun die Musik immer komplizierter komponiert wurde (mit wechselnden Tonarten), gab es mehrere Versuche, fest gestimmte Instrumente wie Klavier, Orgel oder Flöte so zu stimmen, dass möglichst viele Tonarten gespielt werden konnten, ohne dass es unangenehm auffällt.
Joh. Phil. Kirnberger hatte zum Beispiel kurz vor Bachs Zeiten mehrere Methoden entwickelt. Schließlich hatte Andreas Werkmeister eine ziemlich technische Lösung gefunden (erfunden wurde sie schon früher, für die Laute):
Alle Quinten wurden gleich unrein gestimmt, so dass zwar auch alle Quarten, Terzen, Sexten, Septimen und Sekunden unrein wurden, aber alle nur so wenig, dass es mit etwas Gewöhnung nicht schlecht klang. A. Werckmeister machte diese „gleichschwebende“ oder „gleichstufige“ Stimmung Ende des 17. Jahrhunderts in einem Buch bekannt und sie setzte sich dann langsam durch.
Mit der gleichstufigen Stimmung konnte man ein Stück genauso in C-Dur spielen wie in Des-Dur (5 b) oder in H-Dur (5 Kreuze), ohne dass jemand den Unterschied hörte (außer er hatte ein „absolutes Gehör“ oder ein gutes Tongedächtnis und kannte das Stück in einer bestimmten Tonart, so dass er bemerkte, dass das Stück etwas höher oder tiefer beginnt).
Jetzt kann man natürlich fragen, was so schwer an dieser Idee war, dass man sie nicht früher hatte. Es war aber wohl nicht so sehr die fehlende Idee wie die Skrupel, einerseits alle Quinten unrein zu stimmen und andererseits alle Tonarten gleich zu machen. Bisher hatte ein Komponist sich immer gut überlegt, ob er z. B. ein Stück in C-Dur komponiert oder in A-Dur mit 3 Kreuzen, was damals ganz anders klang (für den sensiblen Zuhörer zumindest) usw. Jetzt war es egal und es ging nur noch darum, wie hoch das Stück liegen soll, welche Töne und Akkorde vom Orchester leichter zu spielen sind oder wie hoch oder tief die Sänger es schaffen.
Mir ist bekannt, dass zahlreiche Musikinteressierte und Musiker sagen, C-Dur klingt immer anders als D-Dur usw. Das halte ich einerseits für eine Folge eines sehr guten Tonhöhengedächtnisses bis zum „absoluten Gehör“, andererseits der Hörgewohnheit (zu der ja auch ein gutes Tönhöhengedächtnis gehört), zum Teil wohl auch dem Wunsch, diesen Unterschied zu hören. Jedenfalls ist es mir nur bei Menschen mit absolutem Gehör vorgekommen, dass der Unterschied bemerkt wurde, bevor die andere Tonart bekannt war.
Es wurde damals unter Musikern darüber diskutiert, ob diese neue Stimmung (die „gleichstufig wohltemperierte“) eher ein Gewinn oder ein Verlust für die Musikwelt sein könnte. Besonders dass es keine Unterschiede mehr bei den Intervallen und damit den Akkorden in den verschiedenen Tonarten gab, störte viele Musiker (die praktische Unmöglichkeit der Stimmung war auch ein Argument, denn eine Unreinheit von 0,11% ist nicht mit dem Ohr einstellbar und so schätzt man die Unreinheiten und hofft, am Ende des Quintenzirkels wieder am Grundton anzukommen; andernfalls wird rückwärts ausgeglichen).